11. Juni 2010

Wir sind die Kaiser von China

Seit ein paar Jahren vernehmen wir aus dem Reich der Mitte immer wieder ganz erstaunliche Neuigkeiten.
Das Volk der agilen, fahrradfahrenden Gemüse- und Tofuesser, die in völliger Selbstaufgabe und uniformer Askese nur dem Wohle des Volkes und dem Wohlergehen einer herrschenden Kaste dienen wollen, fahren Auto wie die verrückten, fressen sich an Unmengen von Fleisch rund und faul und beuten sich gegenseitig aus egoistischen Grünen aus bis aufs Blut. Ausserdem schimpfen sie auf die Regierung. Die Chinesen sind europäisch geworden.

Wir hingegen sollen nun alle Fahrrad fahren, Vegetarier werden, bis ins alter agil und sportlich bleiben, uns für unsere Mitmenschen und die herrschende Kaste der Banker aufopfern und selbstredend kritiklos hinter DER Partei stehen.
Das alles kann man ja vermutlich noch mit Maslow erklären und der Tatsache, dass wir schon genug Autos haben, um zu erkennen, dass Glück nicht in Drehmoment gemessen wird.

Was dem naiven Gutmenschen nun aber nun wirklich als ein unauflösliches Paradox erscheint, das ist die Tatsache, dass die Chinesen in Heerscharen ihr Leben und ihre Freiheit hergeben, auf dass der Staat sich endlich zu den Menschenrechten bekenne und sie einhalte, derweil sich bei uns die vermeintlich demokratischen Kräfte darin überbieten, diese Menschenrechte mit dem Segen des Volkes auszuhöhlen, abzuschaffen und zur schlichten Makulatur verkommen zu lassen.
Sind wir wirklich schon solche Chinesen, dass wir jubeln, wenn selbsternannte Volksretter die völkerrechtlichen Menschenrechtsgarantien kurzerhand ausser Kraft setzen wollen? Was ist so böse an Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot und Persönlichkeitsrechten, dass wir sie willig und freudig der Diktatur des verblendeten Mobs opfern? Wer schützt denn uns und unsere Rechtsordnung vor einer Mehrheit, die nicht mal weiss, was eine Verfassung und ein völkerrechtlicher Vertrag ist? Wer oder was soll uns davor bewahren, dass der Einzelne zum Objekt eines Volkswillens verkommt, der ja doch nur der blinde Parteigehorsam orientierungsloser Egomanen ist. Die Chinesen haben erkannt, dass der Mensch, der Souverän ist, wenn es um die grundlegenden Rechte des Menschen geht.
Wir haben diese schlichte Wahrheit scheinbar genau so vergessen, wie die Tatsache, dass eine Demokratie ohne Rechtstaatlichkeit nicht existieren kann.

Dazu passt perfekt, dass die chinesische Regierung entschieden hat, dass die Folter im Strafprozess keinen Platz mehr haben darf, weil sie der Rechtsordnung schadet. Bei uns wird ein gleichlautender Entscheid aus Strassburg allerdings mit Unverständnis und Groll aufgenommen. Folter ist also wieder salonfähig bei uns. Wie lange geht es wohl, bis wir die Sklaverei wieder lässig finden? Dann wären wir die echten Kaiser von China.

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