Es war einmal eine Frau in mitteleren Jahren, die hatte in ihrer Kindheit schlimme Dinge erlebt mit einem Mann, der all die Dinge mit ihr getan hatte, die er nie hätte tun dürfen. Das ist viele Jahre her und das Leben hatte die Wunden der Frau geheilt. Sie hatte ein gutes Leben, Kinder, einen Mann und freute sich auf einen geruhsamen Lebensabend. Sie hatte das Böse hinter sich gelassen.
Nun wollte es aber der Zufall, dass jemand Kenntnis erlangte von all dem Bösen, das der Frau widerfahren war und weil die Zeit nur noch die Wunden, aber nicht mehr die Taten heilt, begann der Staat mit seiner Aufgabe, das Böse aufzuklären und zu sühnen, den Mann vor Gericht zustellen, auf dass er seiner Strafe nicht entgehe.
So stand sie nun vor Gericht, die Frau, die so viel Böses ertragen musste, vor dem Mann, den sie nie wieder sehen wollte und an den sie all die Jahre nicht mehr hatte denken müssen. Sie musste all das widerholen, was sie nicht mehr wissen wollte, musste neu erleben, was sie hinter sich gelassen hatte. Aber die Gerechtigkeit kennt keine Gnade, auch nicht mit denen, die Opfer waren. Die Frau erlebte nun all das Böse aufs Neue, musste sich genau an jede Pein erinnern, musste jeden unerträglichen Moment erneut ertragen und man sagte ihr, dass es für die Gerechtigkeit sei. Die Frau wurde traurig, sehr traurig und sehr wütend. Ihre Kinder wurden traurig, ihr Mann wurde traurig und alle konnten nur zusehen, wie man die Frau für die Gerechtigkeit unsäglich leiden liess. Sie konnten nichts tun, damit die Frau von dem Bösen verschont blieb.
Am Schluss reichten die Beweise dann nicht aus, damit der böse Mann verurteilt werden konnte. Es war zu lange her und niemand konnte genau sagen, was wann gewesen war. Der böse Mann war wieder frei und niemand konnte ihn jemals wieder für all das Böse belangen, denn das Gericht hatte amtlich festgestellt, dass er all der Dinge nicht schuldig war, die er getan hatte.
Da wurde die Frau noch viel trauriger. Sie hatte vergeben, sie hatte vergessen. Sie hatte gewusst, dass der böse Mann böse war und sie an dem Bösen keine Schuld trug. Aber nun hatte die Gerechtigkeit gesagt, dass der Mann nicht böse war und es war die Schuld der Frau, denn sie hatte für ihr Leben zu viel vergessen. Die Frau wurde immer trauriger und dann ging sie aus dem Leben, in dem sie nicht einmal mehr die Gewissheit hatte, dass der böse Mann eben böse war. Der Mann der Frau wurde wütend. Der Mann der Frau verzweifelte und weil seine Frau nun nicht mehr sein Freund war, fand er Freunde in den dunklen Räumen mit den einsamen Männern und dem billigen Schnaps. Seine Kinder wurden sehr traurig.
Der böse Mann lebte sein Leben bis an das Ende und freute sich, dass die Gerechtigkeit obsiegt hatte.
5. November 2008
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